Mit einer Raumbrille denken: das „Territorial Impact Assessment (TIA)“
Wenn neue Gesetze, Förderprogramme oder große Projekte beschlossen werden, stellt sich häufig die Frage: „Wer profitiert wo, und wer eher nicht?“ Genau hier setzt das im Rahmen des ESPON-Forschungsprogramms entwickelte Instrument des „Territorial Impact Assessment“ (Territoriale Folgenabschätzung), kurz TIA, an.
Ein TIA ist ein Verfahren, mit dem untersucht wird, wie sich eine geplante Maßnahme auf unterschiedliche Räume, wie Städte, ländliche Regionen oder Grenzräume, auswirkt. Im Mittelpunkt steht dabei nicht abstrakt „die Wirkung“, sondern die Frage nach ihrer räumlichen Verteilung. Politik und Verwaltung sollen damit Hinweise erhalten, ob Ziele einer geplanten Investition erreicht werden können, ob bestimmte Gebiete besonders unterstützt werden müssen oder ob begleitende Maßnahmen nötig sind. Genau hier setzt auch die von der Europäischen Stadtinitiative (EUI) verfolgte Logik an, innovative Ansätze nachhaltiger Stadtentwicklung zu erproben und ihre Wirkungen besser zu verstehen. Vor diesem Hintergrund rückt die territoriale Folgenabschätzung (TIA) als Instrument stärker in den Fokus. Umfragen der EUI haben gezeigt, dass TIA in der Praxis bislang kaum bekannt ist, zugleich aber ein deutliches Interesse besteht, mehr über das Instrument und seine Einsatzmöglichkeiten zu erfahren. Eine territoriale Folgenabschätzung kann hier ein praktisches Werkzeug bieten, um Maßnahmen räumlich zu bewerten, Ungleichheiten sichtbar zu machen und die Ergebnisse in integrierte Strategien sowie konkrete Umsetzungspläne einzubinden.
Bisherige Erfahrungen in Deutschland
Neu ist diese räumliche Denkweise in Deutschland nicht. Seit vielen Jahren gibt es vergleichbare Verfahren wie die Gesetzesfolgenabschätzung, Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP), Strategische Umweltprüfungen und Raumordnungsverfahren, die die Folgen neuer Maßnahmen unter anderem auf Umwelt und Raumstrukturen untersuchen. Während Instrumente, wie die UVP, rechtlich verankert und verpflichtend anzuwenden sind, kann TIA dagegen flexibel als ergänzendes Analyse- und Planungsinstrument eingesetzt werden. Zugleich bleiben die genannten Verfahren häufig auf einzelne Aspekte konzentriert oder behandeln den Raum eher allgemein. TIA knüpft hier an, rückt räumliche Unterschiede systematisch ins Zentrum und stellt die Frage, wie sich eine Maßnahme konkret auf verschiedene Gebietstypen auswirkt.
In Deutschland wurde TIA bislang vor allem in transeuropäischen Pilotprojekten eingesetzt, wie zum Beispiel die von Polen geleitete Pilotaktion „Region-focused Territorial Impact Assessment (TIA)“. Sie nutzte raumbezogene Wirkungsanalysen, um zu verstehen, wie sektorale Politiken räumliche Disparitäten beeinflussen. In diesem Rahmen beteiligte sich die Gemeinsame Landesplanung Berlin-Brandenburg und legte den räumlichen Schwerpunkt auf den deutsch-polnischen Verflechtungsraum und konzentrierte sich inhaltlich auf die Verkehrspolitik und die geplante Bahnverbindung Berlin–Gorzów, die sogenannte Ostbahn (Linie 203). Eine durchgeführte TIA zeigte, dass eine verbesserte Schienenverbindung nicht nur Berlin und polnische Regionalzentren stärkt, sondern auch kleineren Städten und Dörfern neue Impulse geben kann, etwa durch bessere Pendelmöglichkeiten, neue Wirtschaftskooperationen oder mehr touristische Attraktivität. Zugleich wurden mögliche Belastungen sichtbar, etwa durch mehr Verkehrslärm oder zusätzlichen Flächendruck in bestimmten Orten. Die Ergebnisse flossen in Empfehlungen für die weitere Verkehrs- und Raumplanung ein und machten deutlich, dass die gleiche Infrastrukturmaßnahme in unterschiedlichen Räumen sehr unterschiedliche Wirkungen haben kann.
Ein weiteres Projekt war das grenzüberschreitende EU-Förderprogramm INTERREG Deutschland–Niederlande, das eine territoriale Folgenabschätzung ihrer Strategien durchführte. Die Analyse zeigte, in welchen Teilräumen Innovationsprojekte besonders stark wirken, wo die Zusammenarbeit von Verwaltungen, Arbeitsverwaltungen und Beratungsstellen über die Grenze hinweg gewachsen ist, und wo nicht. Das TIA machte deutlich, dass das Programm insgesamt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und regionale Netzwerke stärkt, die Wirkungen aber räumlich ungleich verteilt sind. Genau diese Unterschiede lassen sich mit einem TIA transparent machen. Künftige Förderaufrufe können darauf aufbauen und gezielter auf diejenigen Räume ausgerichtet werden, die bislang weniger erreicht wurden.
Ausblick
Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass territoriale Folgenabschätzungen Wirkungen räumlich „sichtbar“ machen, in dem anhand von Karten, einfachen Bewertungsrastern und klaren Aussagen deutlich gemacht wird, wo eine Maßnahme stark wirkt, wo sie nur geringe Effekte entfaltet und wo Risiken bestehen. In Deutschland wurden TIAs bislang in erster Linie im Rahmen von Pilotprojekten und grenzüberschreitenden Programmen eingesetzt. Angesichts der anstehenden Transformationen in Städten und ihren funktionalen Räumen bietet es sich an, territoriale Folgenabschätzungen künftig systematischer einzusetzen. Auf dieser Grundlage können Politik und Planung vorausschauender und differenzierter auf räumliche Unterschiede reagieren.
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